Montag, 7. Juni 2010

Traumflug über drei Länder

Eigentlich wäre Kinderhüten angesagt, aber die Verlockung ist zu gross. Oma Meyer sei Dank, kann ich mich am Freitagabend kurzentschlossen den iisvögeln anschliessen, die das Jahresprogramm und der gute Wetterbericht ins Unterengadin lockt. Ezio, unser Club eigener Wettermacher, verspricht schönes Wetter, aber wohl keine Hammertage.
Samstagmorgen bringt uns die Rolltreppe zur neuen Bahn auf die alte Motta Naluns. Der erste Pilot, wahrlich kein Anfänger nimmt mehr oder weniger direkt die Route zum Landeplatz. Sollte es tatsächlich nicht so toll sein? Eine halbe Stunde später mache ich mich dann doch bereit. Die langen baumwollenen Liebestöter werden montiert und die Sauna in der warmen Schulser Frühlingssonne beginnt. Bevor ich wie ein heisser Wasserkocher zu pfeifen beginne, starte ich um 10.50 h, in die kühlere Engadiner Luft.
Der Startschlauch ist noch nicht das gelbe vom Ei, aber es steigt mehr oder weniger regelmässig. Auf 2680 M.ü.M. verlasse ich die erste Thermik des Tages und fliege Richtung Österreich. Ezio zeigt mir den nächsten Aufwind, im Val Soèr und überlässt in mir sogleich, um in tieferen Gefilden zur Strafrunde anzutreten. Keinen Rappen würde ich an dieser Stelle mehr auf ihn wetten. Mir läuft es von da an immer besser, auch Christoph mit seiner schmalen Sichel lässt mich bald einmal im Stich, und ich muss meinen Weg von hier an alleine suchen.
Servus Österreich! Am Kreuzjoch Gipfel oberhalb von Pfunds, winken mir zwei Wanderer zu, das 20 Meter unter ihnen ein startklarer Steinadler auf einer grasigen Kanzel sitzt, sehen sie wohl nicht. Bald gesellt er sich zu mir und zeigt mir den ersten starken Thermikschlauch des Tages. Über das Schönjöchl gleite ich direkt zum Venet und von dort weiter zur markanten Pyramide des Tschirgant, bei Imst. Hier sehe ich einen Schirm wegsteigen und finde auch sogleich guten Aufwind. Was wird wohl hier gesucht? Ich entdecke diverse „Goldgräber“ - Unterstände zum Teil mitten in den steilen SW- Flanken des Berges. Der erste Wendepunkt ist gesetzt. Meine nächstes Ziel ist Hochoetz. Die Aufwinde sind genau da, wo ich sie erwarte. Über der Bielefelderhütte geht’s hoch. Im letzten Sommer konnte ich auf einigen Flügen die Gegend etwas auskundschaften. Hoch über dem Acherkogel sehe ich ins Kühtai, Richtung Innsbruck. Es ist nun bereits 14.00 h und das Frühstück ist schon länger vorbei. Leider habe ich aber nur ein Mars dabei, ich muss noch etwas sparen, zu trinken getraue ich mich ebenfalls nicht. Nach drei Stunden Flugdauer meldet sich meine Blase. Ist ja auch kein Wunder nach dem Freitagabend, und da ich kein Schlauchträger bin, lasse ich die Trinkerei wohl besser sein. Das Oetztal ist ein Genuss, die Thermik ist wunderbar und ich kann grosse Strecken fliegen, ohne in die Aufwinde einzudrehen. Nach Sölden steigt mein Puls etwas, ich muss aufpassen dass ich die hier zulässige Höhe von 3810 Meter nicht übersteige. Kein leichtes unterfangen ;-). Heute bin ich und mein Swing Stratus unsinkbar! Aber aufgepasst es ist noch weit. Weit unter mir ist die abenteuerliche, steile, eng gewundene Strasse über das Timmelsjoch, der Übergang ins Südtirol.
Buongiorno Italia! Dass ich meine Idenditätskarte zu Hause zu vergessen habe, merke ich erst später. Der Blick ins Passeiertal lässt mich hoffen, hier nicht landen zu müssen. In einem Seitental finde ich nicht auf Anhieb den Anschluss, schon werde ich etwas nervös. Ich bin es heute nicht gewohnt keine Thermik zu finden. Der rettende Aufwind findet aber mich nach kurzer Suche an gewünschter Stelle. Nun ist es nicht mehr weit bis zum zweiten Wendepunkt, Meran. Auch hier setze ich den Punkt nicht so weit draussen im Tal wie ich mir vorgenommen habe, aber Misserfolge bei vorausgegangenen Flügen sagen mir, dass ich flexibler sein sollte.
Ich wende um 16.15 h über der Mutspitze, oberhalb von Schloss Tirol, und drehe ab Richtung Schweiz. Ich konzentriere mich nun möglichst hoch zu fliegen, auf Apfelbäume, Bewässerungsanlagen und 40 km/h Talwind habe ich beim besten Willen keine grosse Lust. Mit nahezu 20 Segelfliegern aus allen Nationen drehe ich in den starken Aufwinden am Tschigat über dem Vinschgau und mache möglichst viel Höhe.
Weit unter mir, am Eingang zum Schnalstal haben bereits vor 5000 Jahren Oetzi und seine Familie gesiedelt. Heute wohnt hier sein Nachfolger auf Schloss Juval, besser bekannt als R. Messner. Den Besuch bei ihm habe ich bereits Anfang Mai gemacht, deshalb heute schnell und hoch darüber. Immer wieder bringt mich die gute Thermik auf fast 4000 Meter, bevor ich mich mit grossem Sinken und dementsprechend schlechter Gleitzahl zur nächsten Querrippe würge. Das ich hoch fliegen kann, ist hier ein sehr grosser Vorteil. Ich beobachte einige Piloten, die vom starken, hochreichenden Talwind erwischt werden, und wie Steine vom Himmel geholt werden. Das Panorama ist schon den ganzen Tag überwältigend. Die schönsten Bündner, der höchste Deutsche, der grösste Südtiroler, der höchste Nordtiroler, die Königin der Dolomiten, usw., usw. Was für ein Traumtag! Bei Graun, am Reschensee, sehe ich den ehemaligen Kirchturm aus dem Wasser ragen, bevor ich in der Thermik des Tages bis zur Wolkenbasis aufdrehe. Erst bei fantastischen 4401 Meter ist fertig!
Was für ein Gefühl auf dieser Höhe das Ziel in Scuol vor Augen zu haben. Diese Höhe erlaubt mir auch die Abkürzung zwischen Piz Nair und Piz S-chalambert zu nehmen.
Buna Saira Engiadina Bassa! Noch zweimal drehe ich auf gut 3300 Meter auf, um nach einem Vorbeiflug bei der Lischana Hütte, kurz hinter dem Schloss Tarasp die letzte Wende zu nehmen und in den Landeanflug zu gehen. Kurz vor 20.00 h berühre ich am offiziellen Landeplatz in Scuol nach genau 9.00 h Flugdauer und 196.9 km, wieder den festen Boden.
Solche Traumflüge mit einem 28 m² grossen Stück Stoff sind einfach das grösste. Noch nie vorher bin ich so weit und so lang geflogen. Ich rufe Ezio an, er konnte sich nach dem Start wieder hochkämpfen und ist mir heimlich gefolgt, leider musste er in Goldrain im Vinschgau landen. Auch er schafft heute weite 157 km! Das Landebier ist später lang und reichlich geflossen, so dass ich am Sonntag das immer noch gute Streckenflugwetter nicht mehr sehr gut genutzt habe ;-).
Meines Wissens ist es das erste Mal einem Gleitschirmpiloten gelungen, ein Dreieck über drei Länder auf dieser Route zu schliessen, und es ist mit 196.9 km der weiteste je vom Startplatz Motta Naluns aus realisierte Gleitschirmflug.
(zu den Bildern)

Cheeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeerio
Alex
 
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